Schachtunabhängiges Wandergesellenportal für Steinberufe und andere Fremde


Ich habe lange mit mir gehadert, ob ich den folgenden Text in den STOIMETZ mit aufnehmen soll. Der Brief wirft ja einerseits ein nicht gerade positives Licht auf die Fremden - und andererseit steckt auch ziemlich viel Persönliches drin. Sich im Internet als Alkoholiker zu outen will wohl überlegt sein. Aber es ist nichts wofür ich mich schämen müßte. Eine Schande wäre es nur gewesen, wenn ich damals so weitergemacht hätte wie zuvor. Außerdem möchte der STOIMETZ ja in erster Linie informieren, und da dürfen auch ruhig mal die Schattenseiten mit dabei sein.

Ein offener Brief an den Dachverband der europäischen Gesellenzünfte c. c. e. g. (zur Veröffentlichung in der Verbandszeitung)

Wanderschaft und Alkohol


Wie in allen anderen Bereichen des gesellschaftlichen Lebens (z.B. Verein, Bundeswehr, Studium etc.), haben sich im Laufe der Zeiten natürlich auch bei den Wandergesellen sog. Trinkbräuche entwickelt.

Im Gegensatz zur heutigen Zeit hatten die Gesellen Früher aber keine Möglichkeit, mittels Daumen und Autobahn binnen Stunden quer durchs Land zu rasen. Das heißt, man traf sich wohl alle paar Monate mal Hier oder Dort, und verstand es auch das eine oder andere Faß zu leeren. Aber der Fremde brachte nicht am einen Tag einen Kameraden heim nach Hamburg, am nächsten Tag nen Jungschen aus Potsdam raus, mit Diesem dann gleich zum Bergfest eines Dritten in Dresden und zum Wochenende dann auch noch 100-jähriges Stubenschildjubiläum in Nürnberg.


Deshalb sei daran erinnert, das Trinkspiele und sogenannte "Ehrenverpflichtungen" in Bezug auf "geschenkte" Getränke nicht verpflichtend sind. Man kann durchaus ablehnen ohne in Ungnade zu fallen. Entgegen landläufiger, oft gehörter Meinung, definiert sich Tippelei nämlich nicht über den Alkoholkonsum.

Wer arbeiten kann muß nicht auch zwingend saufen können. Wer saufen kann, der kann halt bloß irgendwann nicht mehr arbeiten.

In manchen Gesellenkreisen gilt Saufen wohl als zünftig, aber die Frage ob das auch vernünftig ist, lasse ich jetzt einfach mal im Raum stehen.



Werte Kameraden,

den einleitenden Text habe ich der Rubrik „Informationen über Wanderschaft“, des ( gegen Ende 2006 von mir gegründeten ) Wandergesellen-Portals www.Stoimetz.de entnommen.

Und ich muß dazufügen, daß die Realität leider oft weit von dem hehren Ideal des hin und wieder feiern könnenden Schniegelgesellen entfernt ist. Erinnere ich mich an meine Reisezeit, so denke ich auch automatisch an die Saufgelage gerade der besonders „zünftigen“ Gesellen. Festivitäten an welchen weniger die Feier an sich, sondern hauptsächlich der unkontrollierte Konsum wahrer Meere von Bier und Köm stand.
Oder an ein Erlebnis in Lüneburg, als ein einheimischer Zimmerer meinte, mich an der Gesellentafel zur Sau machen zu müssen weil ich es gewagt hatte den mit „halbe/halbe Kamerad“ angebotenen, frischen 2-Liter-Stiefel abzulehnen.

Und stets mit der gleichen Begründung: Daß das Trinken zur Tradition und Kameradschaft einfach dazugehöre.

Eine oft gehörte Meinung war auch: „Lieber besoffen im eigenen Erbrochenen liegen, als sich nur einmal mit Drogen einlassen. Es muß um jeden Preis das Bild des Wandergesellen in der Öffentlichkeit gewahrt bleiben!“ Und das meinten die Kameraden dann auch noch ernst. Bierernst sozusagen.  

Bitte nicht falsch verstehen. Ich möchte hier keine Lanze für illegale Drogen brechen. 

Wir sollten jedoch nicht vergessen daß auch Alkohol zu den Drogen zählt - und zwar zu den harten Drogen. An Alkohol sterben jedes Jahr in Deutschland über 70.000 Menschen. Nüchtern betrachtet ist Alkohol nämlich ein Gift mit Rauschwirkung und hohem Suchtrisiko. Genauso wie Kokain, Heroin, Amphetamine, Cannabis und so weiter. (Ja, Marihuana macht süchtig. Das ist eine Eigenschaft die so ziemlich JEDER psychotrope Stoff aufweist).

Und daß die Öffentlichkeit wirklich oft ein so schlechtes Bild von den Wandergesellen hat – also von ständig saufender Horde – das merkte ich zuerst in der Lehre, als mich mein Lehrmeister davor warnte mich mit Gesellenzünften einzulassen da dort nur gesoffen würde. Und jetzt wieder als Einheimischer bei jeder Bewerbung um eine neue Stelle als Steinmetz. Spätestens wenn die Rede auf meine Zeit auf Wanderschaft kommt, heißt es, man hätte da schon schlechte Erfahrungen machen müssen.
Das sollte Uns doch eigentlich zu denken geben. Wäre es nicht viel wünschenswerter, wenn wir Uns beispielsweise an den französischen Compagnons ein Beispiel nähmen? Hier hat der Geselle viel eher den Ruf eines „Besonderen Handwerkers“, ja eines elitären Spezialisten. Ich denke, es wäre hier durchaus ein wenig Nachdenken angebracht.

Auch sollten wir unterscheiden zwischen Handwerksgebrauch und Gewohnheit. Der oftmals ziemlich ausufernde Alkoholkonsum unter Fremden (und Einheimischen) gehört meiner Einschätzung nach nämlich nicht zum Handwerks- oder Zunftgebrauch. Statt dessen handelt es sich hier um ein angewöhntes Verhalten. Nur weil Viele sich so verhalten, oder weil dieses Verhaltensmuster schon länger besteht, wird daraus aber noch lange keine Tradition.

Was will Der überhaupt? Wird sich jetzt manch Einer fragen. Hat Der nicht selbst auf Tippelei oft, viel und auch oft zu Viel – oder Viel zu oft geschmort?

Stimmt, das habe ich.

Bis dann als Einheimischer irgendwann der Punkt erreicht war, an welchem ich noch vor der Arbeit meine zwei Kurzen brauchte um überhaupt ohne Händezittern schniegeln zu können.
Während der Arbeit gab’s dann Sprudel mit Klosterfrau-Melissengeist, in der Mittagspause 1-2 Bier, zwischendurch noch `nen Underberg - denn die Fläschchen paßten so geschickt von Oben in die Gerüststangen hinein - und zum Feierabend in der Regel noch eine Flasche Wein oder auch Zwei. Jeden Morgen verschlief ich regelmäßig, um dann auf einer eingenäßten Matratze aufzuwachen. Die Qualität meiner Arbeit war ihren Namen nicht mehr wert und mit meinen Kollegen hatte ich dauernd Differenzen.
Wenn mein Vorarbeiter mir eine Anweisung gab, hatte ich diese schon 5 Minuten später wieder vergessen. Oder ich konnte eine Viertelstunde lang meine Flex suchen, aber sah nicht einen Moment, daß sie die ganze Zeit vor mir auf dem Stein lag.
Ich litt unter Depressionen – und therapierte mit Alkohol. Wenn ich Auto fahren mußte, zwangen mich nach kurzer Zeit Alkoholpsychosen in Form schlimmster Panikattacken wieder an den Straßenrand. Gott sei dank, muß ich heute sagen. Na, und meine Kollegen wußten natürlich schon längst: Der Rollo ist halt `ne Schmorbacke! Nur ich selbst wollte das immer noch nicht wahrhaben. Selbst als mich mein liebster Reisekamerad während eines Besuchs beim heimlichen Kömsaufen ertappte, oder mir meine Freunde das Moped festketteten. Selbst dann war ich nur sauer wie die sich in meine Angelegenheiten einmischen konnten – und befreite mein Gefährt mittels Eisensäge um dann Sternhagelvoll Heimwärts zu fahren.Bis mir dann ein recht schmerzhafter Unfall mit geschätzten 3,5‰ endlich die Augen öffnete.
Woraufhin ich selbst entgiftete, mir Hilfe bei Caritas und Kreuzbund holte, wegen schwerer psychosomatischer Störungen (Schwindel, Herzstechen etc.) schließlich doch noch einen Monat in die Klinik ging, und nach einiger Wartezeit eine 16-Wöchige Alkoholentwöhnungstherapie absolvierte. Inzwischen bin ich seit mehr als 2 Jahren konsequent abstinent und fühle mich sauwohl.

Und nach diesem kurzen Exkurs in die eigene Vita wieder zurück zu Tippelei.


Wie Eingangs erwähnt, entsteht die hauptsächliche Problematik der „Gewöhnung an einen riskanten Konsum“, durch die Fülle der Trinkgelegenheiten. So wird zum Beispiel die weit verbreitete Regel, Jungreisende im ersten Jahr dazu anzuhalten nur im deutschsprachigen Raum zu reisen allmählich pervertiert. Einstmals diente diese Richtlinie dazu, den Junggesellen in vertrautem Terrain Erfahrung sammeln zu lassen. Er war angehalten die Gesellschaft kennenzulernen sowie in der Arbeit und auf dem Handwerkssaal firm zu werden. Soweit so gut.

Wie dieses erste Jahr allerdings Heutzutage für einen Junggesellen aussehen kann entspricht in Nichts mehr dem Grundgedanken. Von einem Fattschmoren zum nächsten. Von Vollrausch zu Vollrausch. Wen wundert da noch die steigende Zahl der zwangsausgeruppten Gesellen. Denn der Hauptgrund warum sich Fremde manchmal schwer daneben betragen, ist immer wieder, … na? Genau, unkontrolliertes Trinken. 

Und da bringt es auch überhaupt nichts dem Kameraden ins Gewissen zu reden, „er solle sich doch mal am Riemen reißen“. Das ist in etwa genauso effektiv wie einem Schwerhörigen zu raten, er solle einfach besser hinhören. Wer erst einmal von einem Stoff abhängig geworden ist, der kann seinen Konsum schlichtweg nicht mehr willentlich kontrollieren. Für einen Alkoholiker gibt es nur noch 2 Möglichkeiten: Entweder abstinent und gesund, oder weiter wie gehabt – und nach absehbarer, schmerzhafter Zeit krepieren.


Das Perfide dabei ist; wenn ich mich als Trinker ohnehin schon in einem Umfeld bewege daß den Alkoholkonsum, ja zum Teil sogar den Mißbrauch unterstützt, dann fällt mir mein eigenes Fehlverhalten in der Regel nicht auf. Und was der Alkoholiker nicht als falsch erkennt, das wird er – selbst wenn er merkt daß es ihm schadet – auch nicht ändern.

Apropos Mißbrauch. Von Alkoholmißbrauch spricht man bei Konsum: 

  • Zu unpassender Gelegenheit (Straßenverkehr, Arbeit)
  • Bis zum Rausch
  • Als Seelentröster
  • In gesundheitlich bedenklichem Umfang

Eine Faustregel aus der Suchtberatung lautet: Wer einen halben Liter Bier zügig trinken kann ohne davon eine Änderung in Stimmung oder Befinden zu erleben, treibt mit hoher Wahrscheinlichkeit Alkoholmißbrauch. Wie gesagt, Früher haben die Gesellen auch schon gefeiert. Aber eben bei weitem nicht so oft. Auch entstand das Stiefeltrinken nicht, um sich mit möglichst viel Bier auf einmal zu betanken. Sondern indem die Gesellen ihre paar Stutz zusammenwarfen, damit auch Derjenige mit weniger Kies zu ein paar Schluck Bier kam.

Und falls irgend Jemandem nicht klar sein sollte was Trinken in gesundheitlich bedenklichem Umfang ist, hier noch eben eine Tabelle (Angaben in Gramm reinen Alkohols. Wobei 10g Alkohol = 0,25l Bier):


Riskant:        
30-60g = 0,75-1,5 Liter Bier,  20-40g = 0,5-1 Liter Bier

Gefährlich:      bis 120g = 3 Liter Bier,   bis 80g = 2 Liter Bier

Hochkonsum:       Alle Mengen darüber !

Und wenn Ihr jetzt einwenden solltet, da könne was nicht stimmen. Wenn 3 Halbe schon ein riskanter Konsum sind, dann betreibe ja die Mehrheit der Bevölkerung Alkoholmißbrauch. 

Tja, ganz Genau. Das ist auch leider der Fall.

Ab wann ist man Alkoholiker?

Entscheidend ist nicht allein die Trinkmenge, sondern die Art und Weise des Alkohol-Trinkens. Eine Alkoholabhängigkeit liegt dann vor, wenn mindestens drei der folgenden Kriterien auftreten: 

§Starker Wunsch oder eine Art Zwang zum Alkoholkonsum.


§Verminderte Kontrollfähigkeit bezüglich Beginn, Beendigung und Menge des Alkoholtrinkens, d.h. “Kontrollverlust”.

§Körperliche Entzugssymptome bei Beendigung oder Reduktion des Konsums (z.B. Zittern, Schweißausbrüche, Unruhe, Angstzustände, Übelkeit, Schlafstörungen, Krampfanfälle, Halluzinationen etc.).

§Toleranzsteigerung des Körpers, d.h. Gewöhnung des Körpers an den Alkohol, so daß die Trinkdosis gesteigert werden muß, um die gleiche Wirkung zu erzielen.

§Fortschreitende Vernachlässigung anderer Interessen und Vergnügen, d.h. mehr Denken und Zeitaufwand bezüglich Konsum und Beschaffung sowie zur Erholung von den Folgen.

§Anhaltender Alkoholkonsum trotz schädlicher Folgen (z.B. Leberschäden, Depressionen, psychosoziale Folgen). 


Also werte Kameraden
,

Ich möchte Euch bestimmt nicht Euer Bier vermiesen. Ich habe auch nicht vor das Stiefeltrinken oder Faßschmoren zu verdammen.

Nicht Jeder der trinkt wird auch zum Trinker.

Aber wer – gerade in jungen Jahren – seine Leber darauf trainiert, daß da schon mal öfter große Mengen Alkohol abgebaut werden müssen, der legt hier auf jeden Fall den Grundstein für eine Suchterkrankung.

Deshalb paßt mir bitte auf Euch und ganz besonders auf Eure Jungreisenden auf!

Besser in Maßen als in Massen.

Mit handwerklichem Gruß
Euer

Jochen Wurft (Rollo) r. frd. einh. Stoimetz zu Guggenmühle/Allersberg in Mittelfranken